Wohin entwickelt sich die digitale Versorgungslandschaft und welche Rolle spielt die Telemedizin? Wir sprachen mit Bernd Altpeter, Geschäftsführer der SHL Telemedizin Gruppe Deutschland, über den Status quo, aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven von Telemedizin.
Trotz des allgemeinen gesellschaftlichen Trends zu Digitalisierung und Homeoffice scheint die digitale Versorgung in Hausarztpraxen noch nicht alltäglich zu sein. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?
Die regulatorischen Rahmenbedingungen versuchen nach wie vor, Telemedizin in bestehende Praxisabläufe und Geschäftsmodelle zu integrieren. Dadurch werden die eigentlichen Potentiale wie Standort unabhängige Leistungserbringung, Erweiterung der medizinischen Kapazitäten pro Praxis, um nur einige zu nennen, verhindert. Wie sollen Ärzte in ihren ohnehin überfüllten Arztpraxen mit dem bestehenden Personal noch zusätzliche telemedizinische Sprechstunden erbringen können? Die Kapazitäten in Praxen und Notaufnahmen sind ohnehin schon mehr als erschöpft. Es muss um eine Markterweiterung gehen, nicht um eine Verlagerung von Praxissprechstunden Zeiten auf telemedizinische Sprechstunden.
In vielen anderen Ländern ist die digitale Versorgung bereits Standard. Warum funktioniert das bei uns nicht und was machen die Vorreiterländer anders?
Wie eben beschrieben, gibt es in anderen Märkten weniger Regulatorik, die sich an den bestehenden Praxisstrukturen orientiert. Zudem bieten Krankenkassen in Märkten wie der Schweiz sogar entsprechende Tarife an, die Patienten die freie Wahl lassen, ob sie lieber telemedizinisch oder bei einem niedergelassenen Arzt betreut werden möchten. Hier werden die Potenziale voll ausgeschöpft, da Krankenkassen und Regulatorik Hand in Hand agieren, um die Versorgungsdefizite ohne Einschränkungen durch Telemedizin lösen zu können.
Wer ist in Deutschland in der Lage, die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben?
Es gibt zwei große Hebel. Zum einen die Krankenkassen, die mit Hilfe der 140er-Verträge bereits einen enormen Handlungsspielraum haben, um die Versorgungssituation der Versicherten deutlich zu verbessern. Leider werden diese Spielräume noch immer nicht umfassend ausgenutzt. Wir haben zu viele Forschungsprojekte und zu wenig nachhaltige Umsetzungen im Markt, trotz klarer Kosten-Nutzen Evidenz. Aber natürlich spielt auch der Gesetzgeber eine entscheidende Rolle, der sich von bisherigen Strukturen und Modellen lösen müsste, um nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen. Gerade hier spielen aber auch die Berufsverbände eine wesentliche Rolle, die die Telemedizin und Digitalisierung auch als Chance zur Veränderung betrachten sollten.
Herr Altpeter, die SHL Telemedizin Gruppe entwickelt und vermarktet telemedizinische Lösungen. Welche digitalen Versorgungslösungen bieten Sie an?
Wir sind ein umfassender Anbieter von Gesundheitslösungen, die aus analogen und digitalen Lösungen bestehen. Denn wir sind fest davon überzeugt, dass beides Hand in Hand gehen muss. Wir verstehen uns daher eher als Lösungspartner insbesondere für Krankenkassen, die durch die Vielzahl der Angebote vor großen Herausforderungen stehen. Zu unseren Kernprodukten gehören Lösungen im Bereich der Kardiologie für Kassen und niedergelassene Ärzte, im Bereich der Geriatrie, wo wir Prävention, Pflege, Intervention und Angehörige in einem einzigartigen Konzept verbinden, und nicht zuletzt natürlich das ganze Thema Videosprechstunde in Kombination mit Terminmanagement, Symptommanagement, Gesundheitstelefonie und vielen weiteren Services.
Gemeinsam mit der BARMER haben Sie den Teledoktor entwickelt. Welche Ziele verfolgen Sie damit und wie können Ärzte und Patienten davon profitieren?
Im Vordergrund steht natürlich, die Versorgung der Versicherten der BARMER weiter zu optimieren. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, die Vorteile eines einfachen Marktzugangs durch telemedizinische und digitale Leistungen zu nutzen. Kurzfristige Terminvergaben, aber auch einfache und schnelle Symptomabfragen können schon viel Last aus den Praxen nehmen.
Lassen sich Ihre Lösungen leicht in den Praxisalltag integrieren? Welche Herausforderungen treten bei der Implementierung in bestehende Praxisstrukturen auf?
Ich bin kein Freund davon, telemedizinische Leistungen einfach in einen Praxisalltag mit bestehenden Ressourcen zu integrieren. Die meisten Praxen sind schon heute überlaufen und der Ärztemangel wird dadurch in keiner Weise behoben. Vielmehr muss den Ärzten durch die Telemedizin die Chance gegeben werden, das bestehende Angebot auszuweiten. Das bedeutet, zusätzliche Ärzte einzustellen und diese mit attraktiven Arbeitsmodellen wie zum Beispiel Homeoffice zu gewinnen. So wie es in anderen Branchen längst üblich ist. Nur dann ist das Thema wirtschaftlich attraktiv und es können mehr ärztliche Kapazitäten dem Markt zugeführt werden. Dazu müsste aber die 30%-Regel gekippt werden, ebenso wie viele andere Bedingungen.
Wie gewährleisten Sie die Sicherheit von Patientendaten und die Einhaltung von Datenschutzrichtlinien?
Tatsächlich ist das mittlerweile das geringste Problem im Gesundheitsmarkt. Verschlüsselungen bei der Datenübermittlung, 2‑Faktor-Authentifizierung, sichere Serverstandorte, Consent-Verfahren, all das hat zu den höchsten Sicherheitsstandards in der weltweiten Gesundheitsversorgung geführt. Leider aber auch in einigen Bereichen zur Behinderung einer besseren Versorgung.
Inwieweit sind Ihre Produkte skalierbar, um den sich ändernden Anforderungen im Gesundheitswesen gerecht zu werden?
Alle unsere Produkte sind auf Skalierbarkeit ausgerichtet. Das gilt sowohl für digitale als auch für analoge Produkte wie zum Beispiel die Gesundheitstelefonie. Das ist elementarer Bestandteil unserer Produktphilosophie. Da wir ja kein Nischenanbieter sind und es niemandem hilft, nur kleinen Patientengruppen zu helfen, ist dieses Thema elementar, um die Versorgungssituation in Deutschland zu verbessern. Leider wird dieses Thema zu häufig bei innovativen Anbietern vernachlässigt. Aber auch auf Seiten der Krankenkassen ist es deutlich ausbaufähig. Gerade im Bereich der Chroniker-Versorgung wird nur ein Bruchteil der Betroffenen erreicht. Obwohl in zahlreichen Programmen ein eindeutiges Kosten-Nutzen-Verhältnis nachgewiesen ist.
Wie beurteilen Sie die Zukunftsaussichten von Videosprechstunden und digitalen Versorgungslösungen im Gesundheitswesen?
Die Videosprechstunde wird ein fester Bestandteil der medizinischen Versorgung werden und wir stehen erst am Anfang der Möglichkeiten. Vieles hängt davon ab, ob wir weiter so restriktiv mit dem Thema umgehen oder uns endlich auch gegenüber der Delegation ärztlicher Leistungen oder anderer Beschränkungen öffnen. In vielen Märkten ist es bereits erfolgreich gelebte Praxis, dass zum Beispiel telemedizinische Leistungen auch in Apotheken oder anderen Vehikeln angeboten werden. Die Nutzen sind überall überwältigend. Es gibt daher keinen logischen oder medizinischen Grund, nicht auch hierzulande über eine substanzielle Veränderung unserer Versorgungskonzepte nachzudenken.
Welche innovativen Ansätze plant die SHL Telemedizin Gruppe, um ihre Produkte weiterzuentwickeln und den digitalen Fortschritt voranzutreiben?
Ein wichtiger Baustein unserer Weiterentwicklung ist der Ausbau zum Lösungsanbieter für Krankenkassen. Hierfür ist unser Plattformgeschäft ein Meilenstein, das bereits beim Teledoktor Anwendung findet. Für die BARMER integrieren wir neben unserer Eigenleistung auch die von Drittanbietern. Damit bieten wir für unsere Kassenkunden den One-Stop-Shop-Gedanken, in dem wir analoge und digitale Lösungen verbinden, und alles aus einer Hand managen. Das gilt für die Krankenkasse im Bereich der technischen Integration und Administration, aber auch für eine voll integrierte Patient Journey. Beide Seiten werden durch die zunehmende Komplexität des Marktes und die steigende Zahl der Anbieter massiv gefordert. Im Übrigen gilt das auch für die Ärzte.
Herr Altpeter, vielen Dank für das Gespräch.
BMC-Kongress 2024: Hörsaal-Session „Das Potenzial der digitalen Patientenversorgung am Beispiel des BARMER Teledoktors“
31. Januar 2024 |10:30–11:30 Uhr | Berlin
https://bmckongress.de/timetable/event/a5/
https://bmckongress.de/anmeldung/
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